Dicke Menschen werden in unserer Gesellschaft in vielfältiger Hinsicht stigmatisiert und diskriminiert. In der industrialisierten Welt, der Welt voller Überfluss, gilt ein dicker Körper als Makel und in keinster Weise mehr als Statussymbol. Ein dicker Mensch wird überhäuft mit Vorurteilen und Stereotypen, muss es sich doch um eine verfressene, faule und unkontrollierte Person handeln. Dick soll einhergehen mit einem ungesunden Lebensstil, der gesellschaftlich geächtet wird. Logisch, dass viele dicke Menschen selber glauben, ihr einziges Lebensziel und Glück wäre ein schlanker Körper. Wie soll man sich auch der Gehirnwäsche aus Zeitschriften und Fernsehen, von Freunden und Ärzten und aus der gesamten Fitnesswelt entziehen?
Diskriminierungen und Stigmatisierungen finden in sehr vielen Bereichen statt. Dabei erscheinen dicke Menschen als eine der wenigen gesellschaftlichen Gruppen, die ohne Sanktionen diskriminiert werden dürfen! Kaum jemand wehrt sich, kaum jemand findet Anwürfe gegen Dicke als etwas Schlimmes. Die Abwertung findet dabei auf unterschiedlichen Ebenen statt, zum Teil offen, zum großen Teil aber auch sehr subtil. Warum dagegen niemand vorgeht? Ein Grund liegt in der Tatsache, dass dicke Menschen sich auch selbst stigmatisieren. Sie geben sich selbst die Schuld daran, dick zu sein und finden es deshalb ganz normal, dass andere sie deswegen beschimpfen und benachteiligen. Die eigene Schuld wie die Beschimpfungen anderer produzieren immensen Stress.
Tag für Tag, mit jedem Moment, in welchem dicke Menschen mit anderen Menschen in Kontakt kommen, kann es zu dummen Bemerkungen kommen. Unbewusst geht man angespannt einkaufen, denn jemand könnte den Inhalt des Einkaufswagens kommentieren. Pläne, einfach mal langsam joggen zu gehen oder im Park Gymnastik zu machen, werden nicht realisiert aus Unsportlichkeit, sondern aus Angst vor abwertenden Blicken oder Sprüchen. Ich finde, dieser alltägliche Stress wird massiv unterschätzt. Ein wesentliches Bedürfnis für alle Menschen ist die Zugehörigkeit und Anerkennung von und in Gruppen von Menschen oder einzelner Personen. Nehmen wir zunächst die Zugehörigkeit. Egal in welche neue Gruppe ich komme, ob in eine Gruppe von Coachingkollegen, in eine Gruppe, die sich zum Spielen trifft, in Gruppen von Existenzgründern oder in welche Gruppe auch immer. Ich habe immer die Gefahr, dass ich nicht dazugehöre. Wie das geht? Nun, zunächst sind in vielen Gruppen keine anderen dicken Menschen vorhanden. Das heißt, rein äußerlich habe ich ein Merkmal, was mich zur Außenseiterin werden lässt. Manchmal macht mich das unsicher, gerne wird dieses Gefühl noch verstärkt durch unpassende Stühle, in die ich mich reinquetschen muss oder bei denen ich dann die einzige bin, die sich aus dem Nachbarraum erstmal einen Stuhl ohne Lehnen organisiert. Nun kommt die Anerkennung dazu. Oder zumindest Wahrnehmung als gleichberechtigte, ganz normale Person. Diese wird gerne untergraben, indem sich die anderen über Ernährung, ihre letzte Diät oder dass sie selbstverständlich viel zu dick sind, unterhalten. Das Gespräch hat zunächst nichts mit mir zu tun, ich sitze nur in der Runde und werde – wenn ich mich nicht selbst aktiv einbringe – auch nicht mit einbezogen. Aber es macht was mit mir. Es lässt sich mich unwohl fühlen, wenn andere, deutlich dünnere Menschen, sich über Themen unterhalten, die unterstellt eigentlich meine Themen sein sollten. Ich fühle mich unwohl und sicherlich nicht der Gruppe zugehörig. Noch schlimmer wird es, wenn Menschen mich direkt auf meine Figur ansprechen und meinen, mir ungefragt Ernährungs- oder Gesundheitstipps zu geben. Und fast beleidigt, auf jeden Fall aber mit Unverständnis reagieren, wenn ich ihre Meinung nicht teile bzw. ihre Ratschläge nicht annehme. Oder, viel subtiler, mich bei bestimmten Aktivitäten von vornherein ausschließen, weil sie sich nicht vorstellen können, dass ich mit meinem Körper mit in die Sauna komme oder auch Lust auf ein Abenteuer im Kletterwald hätte. Oder mir mit positiv gemeinten Komplimenten das Gefühl geben, anders zu sein. Dies passiert, wenn ich auf die Bühne gehe und rede und ich das Feedback bekomme, ich finde es toll, dass du dich das mit deinem Körper einfach so traust. Ja, warum denn bitte nicht?
Natürlich ist viel davon nicht böse gemeint, dennoch entfaltet es oft eine fast giftige Wirkung. Botschaften von Verwunderung, fehlender Akzeptanz und Andersartigkeit verstärken bei mir nicht das Grundbedürfnis von Zugehörigkeit und Anerkennung. Eine Lösung könnten Aktivitäten mit anderen dicken Menschen sein. Ich will mal nicht auf das Thema eingehen, dass dann sofort gescannt wird, wer dicker und wer dünner ist. Eine – finde ich, witzige – Kategorisierung, die natürlich auch unnötig ist, aber wahrscheinlich genauso normal stattfindet, wie Menschen, die ein Motorrad haben, sofort klären, wer am meisten PS hat. Kommen dicke Menschen in gegenseitiger Akzeptanz zusammen – also nicht zum gemeinsamen Schrumpfen – dann kann hier tatsächlich in Bezug auf Körperlichkeit eine angenehme Atmosphäre der Zugehörigkeit und Anerkennung herrschen. Solche Gruppen haben oft sogar sehr viel Spaß miteinander. Aber wehe, sie bewegen sich als Gruppe in die Öffentlichkeit. Eine Ansammlung dicker Menschen weckt Aufmerksamkeit und sie können sich vieler Blicke und gegebenenfalls auch dummer Bemerkungen nicht entziehen. Wenn sich dicke Gruppen auf den Weg machen, dann scheinen sie viele Vorurteile geradezu auf sich zu bündeln. Nur ganz, ganz wenige stehen auf und wehren sich gegen Stigmatisierung.
Ich finde es oft schwierig, besonders gegen subtile Formen der Stigmatisierung vorzugehen. Die meisten dicken Menschen haben ein konstantes Gefühl entwickelt, auf dieser Welt nicht richtig und voll akzeptiert zu sein. Statt sich für die eigenen Rechte stark zu machen, reagieren die meisten Betroffenen mit Schuldgefühlen und Scham. Warum? Weil seit Jahrzehnten versucht wird, Dicken weiszumachen, sie könnten an ihrem Gewicht langfristig etwas verändern und nur sie individuell schaffen es nicht. Diese Gemengelage produziert Stress, teilweise ist einem dieser bewusst, teilweise findet dieser komplett unbewusst statt. Stress ist ungesund und einer der wichtigsten Faktoren bei Herzinfarkt und anderen Krankheiten. Wenn dicken Menschen ihr Gewicht zum Vorwurf gemacht wird und ihnen unterstellt wird, sie hätten damit größere Krankheitsrisiken, dann sagt leider niemand, dass das eigentliche Krankheitsrisiko nicht das Gewicht ist, sondern die Umwelt und wir selbst, wie wir damit umgehen.
Nun meine Frage an Dich: Welchen Stress erlebst Du in Bezug auf Deinen Körper und wie versuchst Du, ihn möglichst klein zu halten? Unter allen Kommentaren verlosen wir einmal das Buch „Wohl in meiner Haut“.
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