Sonntag, 6. September 2015

Dicker Stress

Ein Gastbeitrag von Gisela Enders, Autorin von Wohl in meiner Haut
Dicke Menschen werden in unserer Gesellschaft in vielfältiger Hinsicht stigmatisiert und diskriminiert. In der industrialisierten Welt, der Welt voller Überfluss, gilt ein dicker Körper als Makel und in keinster Weise mehr als Statussymbol. Ein dicker Mensch wird überhäuft mit Vorurteilen und Stereotypen, muss es sich doch um eine verfressene, faule und unkontrollierte Person handeln. Dick soll einhergehen mit einem ungesunden Lebensstil, der gesellschaftlich geächtet wird. Logisch, dass viele dicke Menschen selber glauben, ihr einziges Lebensziel und Glück wäre ein schlanker Körper. Wie soll man sich auch der Gehirnwäsche aus Zeitschriften und Fernsehen, von Freunden und Ärzten und aus der gesamten Fitnesswelt entziehen?
Diskriminierungen und Stigmatisierungen finden in sehr vielen Bereichen statt. Dabei erscheinen dicke Menschen als eine der wenigen gesellschaftlichen Gruppen, die ohne Sanktionen diskriminiert werden dürfen! Kaum jemand wehrt sich, kaum jemand findet Anwürfe gegen Dicke als etwas Schlimmes.  Die Abwertung findet dabei auf unterschiedlichen Ebenen statt, zum Teil offen, zum großen Teil aber auch sehr subtil. Warum dagegen niemand vorgeht? Ein Grund liegt in der Tatsache, dass dicke Menschen sich auch selbst stigmatisieren.  Sie geben sich selbst die Schuld daran, dick zu sein und finden es deshalb ganz normal, dass andere sie deswegen beschimpfen und benachteiligen. Die eigene Schuld wie die Beschimpfungen anderer produzieren immensen Stress.
Tag für Tag, mit jedem Moment, in welchem dicke Menschen mit anderen Menschen in Kontakt kommen, kann es zu dummen Bemerkungen kommen. Unbewusst geht man angespannt einkaufen, denn jemand könnte den Inhalt des Einkaufswagens kommentieren. Pläne, einfach mal langsam joggen zu gehen oder im Park Gymnastik zu machen, werden nicht realisiert aus Unsportlichkeit, sondern aus Angst vor abwertenden Blicken oder Sprüchen. Ich finde, dieser alltägliche Stress wird massiv unterschätzt. Ein wesentliches Bedürfnis für alle Menschen ist die Zugehörigkeit und Anerkennung von und in Gruppen von Menschen oder einzelner Personen. Nehmen wir zunächst die Zugehörigkeit. Egal in welche neue Gruppe ich komme, ob in eine Gruppe von Coachingkollegen, in eine Gruppe, die sich zum Spielen trifft, in Gruppen von Existenzgründern oder in welche Gruppe auch immer. Ich habe immer die Gefahr, dass ich nicht dazugehöre. Wie das geht? Nun, zunächst sind in vielen Gruppen keine anderen dicken Menschen vorhanden. Das heißt, rein äußerlich habe ich ein Merkmal, was mich zur Außenseiterin werden lässt. Manchmal macht mich das unsicher, gerne wird dieses Gefühl noch verstärkt durch unpassende Stühle, in die ich mich reinquetschen muss oder bei denen ich dann die einzige bin, die sich aus dem Nachbarraum erstmal einen Stuhl ohne Lehnen organisiert. Nun kommt die Anerkennung dazu. Oder zumindest Wahrnehmung als gleichberechtigte, ganz normale Person. Diese wird gerne untergraben, indem sich die anderen über Ernährung, ihre letzte Diät oder dass sie selbstverständlich viel zu dick sind, unterhalten. Das Gespräch hat zunächst nichts mit mir zu tun, ich sitze nur in der Runde und werde – wenn ich mich nicht selbst aktiv einbringe – auch nicht mit einbezogen. Aber es macht was mit mir. Es lässt sich mich unwohl fühlen, wenn andere, deutlich dünnere Menschen, sich über Themen unterhalten, die unterstellt eigentlich meine Themen sein sollten. Ich fühle mich unwohl und sicherlich nicht der Gruppe zugehörig. Noch schlimmer wird es, wenn Menschen mich direkt auf meine Figur ansprechen und meinen, mir ungefragt Ernährungs- oder Gesundheitstipps zu geben. Und fast beleidigt, auf jeden Fall aber mit Unverständnis reagieren, wenn ich ihre Meinung nicht teile bzw. ihre Ratschläge nicht annehme. Oder, viel subtiler, mich bei bestimmten Aktivitäten von vornherein ausschließen, weil sie sich nicht vorstellen können, dass ich mit meinem Körper mit in die Sauna komme oder auch Lust auf ein Abenteuer im Kletterwald hätte. Oder mir mit positiv gemeinten Komplimenten das Gefühl geben, anders zu sein. Dies passiert, wenn ich auf die Bühne gehe und rede und ich das Feedback bekomme, ich finde es toll, dass du dich das mit deinem Körper einfach so traust. Ja, warum denn bitte nicht?
Natürlich ist viel davon nicht böse gemeint, dennoch entfaltet es oft eine fast giftige Wirkung. Botschaften von Verwunderung, fehlender Akzeptanz und Andersartigkeit verstärken bei mir nicht das Grundbedürfnis von Zugehörigkeit und Anerkennung. Eine Lösung könnten Aktivitäten mit anderen dicken Menschen sein. Ich will mal nicht auf das Thema eingehen, dass dann sofort gescannt wird, wer dicker und wer dünner ist. Eine – finde ich, witzige – Kategorisierung, die natürlich auch unnötig ist, aber wahrscheinlich genauso normal stattfindet, wie Menschen, die ein Motorrad haben, sofort klären, wer am meisten PS hat. Kommen dicke Menschen in gegenseitiger Akzeptanz zusammen – also nicht zum gemeinsamen Schrumpfen – dann kann hier tatsächlich in Bezug auf Körperlichkeit eine angenehme Atmosphäre der Zugehörigkeit und Anerkennung herrschen. Solche Gruppen haben oft sogar sehr viel Spaß miteinander. Aber wehe, sie bewegen sich als Gruppe in die Öffentlichkeit. Eine Ansammlung dicker Menschen weckt Aufmerksamkeit und sie können sich vieler Blicke und gegebenenfalls auch dummer Bemerkungen nicht entziehen. Wenn sich dicke Gruppen auf den Weg machen, dann scheinen sie viele Vorurteile geradezu auf sich zu bündeln. Nur ganz, ganz wenige stehen auf und wehren sich gegen Stigmatisierung.
Ich finde es oft schwierig, besonders gegen subtile Formen der Stigmatisierung vorzugehen. Die meisten dicken Menschen haben ein konstantes Gefühl entwickelt, auf dieser Welt nicht richtig und voll akzeptiert zu sein. Statt sich für die eigenen Rechte stark zu machen, reagieren die meisten Betroffenen mit Schuldgefühlen und Scham. Warum? Weil seit Jahrzehnten versucht wird, Dicken weiszumachen, sie könnten an ihrem Gewicht langfristig etwas verändern und nur sie individuell schaffen es nicht.  Diese Gemengelage produziert Stress, teilweise ist einem dieser bewusst, teilweise findet dieser komplett unbewusst statt. Stress ist ungesund und einer der wichtigsten Faktoren bei Herzinfarkt und anderen Krankheiten. Wenn dicken Menschen ihr Gewicht zum Vorwurf gemacht wird und ihnen unterstellt wird, sie hätten damit größere Krankheitsrisiken, dann sagt leider niemand, dass das eigentliche Krankheitsrisiko nicht das Gewicht ist, sondern die Umwelt und wir selbst, wie wir damit umgehen.
Nun meine Frage an Dich: Welchen Stress erlebst Du in Bezug auf Deinen Körper und wie versuchst Du, ihn möglichst klein zu halten? Unter allen Kommentaren verlosen wir einmal das Buch „Wohl in meiner Haut“. 

Das Gewinnspiel endet am Samstag 19.09.2015 um 23:59 Uhr.
Bei dem Text handelt es sich um einen gekürzten Beitrag aus dem Buch, im Buch finden sich viele Fakten rund um Gewicht und Gesundheit, als Körpercoach gibt Gisela Enders viele, viele Anregungen, wie man mit seinem Körper gesund und glücklich leben kann. Unabhängig vom Gewicht. Das Buch kann auch hier bestellt werden. 

 

7 Kommentare:

  1. man kann andere leute nicht ändern - nur sich selbst.....
    xx

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  2. Jo . . . Genauso ist es . . . Mobbing gesamte Schulzeit . . . Und dadurch kaum Selbstwertgefühl . . . Alles sehr bekannt. . . . Und blöde Kommentare tun bis heute sehr weh . . . Versuche sowas oft auszublenden, klappt aber leider nicht immer . . . Gerade wenn nahestehende Menschen hinterm Rücken lästern . . LG

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  3. Das Übergewicht ist nicht der eigentliche Grund, weshalb es immer wieder Menschen gibt die lästern, seltsam gucken oder gar anfangen zu mobben. Lästern und Hetzten erfüllt eine gesellschaftliche Funktion und sorgt für Zugehörigkeit innerhalb der jeweiligen Gruppe. Wenn Menschen gemeinsam lästern oder hetzten können sie sich gegenseitig bestätigen und verbunden fühlen.
    In meinem Beruf arbeite ich mit Kindern und Jugenlichen die sehr offensiv mein Übergewicht ansprechen. Der Konter, der Stress vermeidet, ist Selbstbewusstsein und vor allem Verständnis. Das bedeutet verständnisvoll gegenüber dem Unmut andere Leute zu sein, da sie Toleranz, Rücksicht und Respekt wohl selbst zu selten erfahren haben, um es nun praktisch anwenden zu können. Das ist dann ganz allein ein Problem dieser Personen, nicht das eigene. Dem sollte man mit einem lächeln und guter Laune begegnen, um zu verdeutlichen, dass es okay ist wie jeder Mensch auf der Welt nunmal ist und aussieht. Glück und Zufriedenheit sollte man nach außen transportieren, denn das Aussehen beeinflusst dies nur marginal.

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  4. Stress empfinde ich tatsächlich meist beim Klamotten kaufen. Es hängt halt oft nur noch S oder XS da und man fragt sich manchmal schon warum die Läden nicht mal auf den Trichter kommen warum die Mini-Größen oft übrig bleiben... Meine Lösung in Situationen wie z.B. am Badesee: Ich frage mich wie genau würde es jetzt mein Leben besser machen wenn all diese Leute denken würden dass ich einen tollen Körper habe? Gar nicht.. also Schei... drauf!!!! :-)

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  5. Mir machen Bemerkungen auf der Strasse schon Stress und ich habe damit zu tun, das ich sie wieder von mir abschüttle. Am besten hilft mir da der Gedankengang, mir eher die Angst der Menschen vor der eigenen Gewichtszunahme vorzustellen und sie damit auch ein bisschen zu bemitleiden, dass Körpergewicht eine so große (Angst-)rolle in ihrem Leben spielen muss. Das hilft mir, den Angriff von mir wegzurichten und weniger Stress zu erleben. Schöner Beitrag, danke dafür
    Monika

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  6. Leider leide ich täglich unter meinem Übergewicht. Sei es mental oder physisch. Ich geh nicht mehr raus, habe Schmerzen, aber noch viel mehr Angst wieder verspottet zu werden. Ein Teufelskreis!

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  7. Hallo Ihr Lieben, die Gewinnerin wurde aus gelost! Klickt auf den Link, um zu erfahren, wer von Euch gewonnen hat.

    Gewonnen hat...-Link!

    Liebe Grüße

    Eure Dine

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